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Schönheit vor Alter? Junge Entwicklungsorganisationen im Fokus

Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, fließen 44 Prozent aller Spenden zugunsten von Entwicklungs- bzw. Nothilfe und werden von Menschen gegeben, die 50 Jahre oder älter sind. Entsprechend ist wenig verwunderlich, dass klassische Entwicklungsorganisationen nicht gerade mit modernen, pfiffigen Kampagnen aufwarten. Dem gegenüber stehen Zahlen, denen zufolge gerade junge Menschen überdurchschnittlich engagiert sind: „Einsatz für die Gesellschaft und für andere Menschen gehört ganz selbstverständlich zum persönlichen Lebensstil dazu“, heißt es in der letzten Shell-Jugendstudie von 2006. Das Ergebnis ist, dass junge Menschen selbst aktiv werden, ihre eigene Entwicklungs-NGO gründen und den etablierten Hilfswerken mit schicken Webauftritten das Fürchten lehren. Zwei Beispiele möchte ich vorstellen.

2aid.org – Wasserspender via Web 2.0

Mitte 2009 hat die Zahnmedizin-Studentin Anna Vikky das Projekt 2aid.org ins Leben gerufen. Mit einigen engagierten Mitstreitern und Unterstützern zieht sie sämtliche Register aktueller Web 2.0-Tools und mobilisiert Spenden für Trinkwasser-Projekte in Afrika. Über Präsenzen auf MeinVz, Twitter (> 1.000 Follower) und Facebook (> 350 Fans) wird um Spenden geworben, die per Überweisung, PayPal oder SMS getätigt werden können. Die ersten 4.000 Euro sind mittlerweile zusammengekommen und an eine US-amerikanische Organisation überwiesen worden, die damit einen Brunnen in Uganda bohren wird. Anna ist derzeit mit Falco, einem Fotografen, vor Ort und schaut sich die Umsetzung an. Sie berichten regelmäßig in einem Video-Blog (Vlog) über die Reise – eine spannende und bisher selten genutzte Kommunikationsform, die leider mit maximal 50 Views noch kaum genutzt wird.

Video Nummer 6 aus dem Vlog von 2aid.org.

100prozentig

So bemerkenswert das Engagement der Fundraiser ist, so stellen aber auch Fragen. 2aid.org wirbt damit, dass 100% der Spenden direkt ins Projekt fließen. Ein ehrenwerter Vorsatz. Viele „neue“ Spendensammler mit dieser Aussage, die jedoch langfristig unrealistisch bis unseriös ist. Bei jedem Entwicklungsprojekt entstehen Verwaltungskosten, angefangen von Server- und Bankgebühren bis hin zu Ausgaben für Werbung und, bei größeren Vorhaben, Personalkosten. Diese Kosten dürfen nicht totgeschwiegen, sondern müssen schlicht und einfach transparent dargestellt werden. Selbst das DZI, das das Spendensiegel vergibt, sagt in seinen Spendertipps „Eine gute Verwaltung ist wichtig“ und hält bis zu 35 Prozent Verwaltungskosten für „vertretbar“. Die Projektreise von 2aid.org nach Uganda haben Anna und Falco aus eigener Tasche bezahlt – zurzeit sammeln sie dafür ebenfalls Spenden: rund 2.200 Euro werden gebraucht… 100%ig also kein Modell für die Zukunft.

Voting über Leben und Tod

Mein zweiter Kritikpunkt richtet sich auf die Auswahl des nächsten Trinkwasserprojekts, das sich 2aid.org ausgeguckt hat – besser gesagt: hat ausgucken lassen. Ganz im Sinne des Web 2.0, wo Userbeteiligung über allem steht, konnte man Anfang des Jahres abstimmen, ob der nächste Brunnen in Kenia, Malawi oder Uganda gebohrt werden soll. Die 148 Twtpoll-User haben entschieden, dass die Menschen in Kenia und Malawi weiterhin ohne sauberes Wasser auskommen müssen.

Klar ist, dass nicht alle drei Projekte gefördert werden können, aber auf welcher Grundlage entscheiden deutsche Internetuser, wo Hilfe am nötigsten und am besten geleistet werden mussen? Klassische Hilfsorganisationen arbeiten mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, zu denen häufig langjährige vertrauensvolle Beziehungen bestehen. Für „Brot für die Welt“ beispielsweise ist die Zusammenarbeit mit Partner vor Ort „wesentliches Merkmal“ der Projektarbeit. Abstimmungen wie die von 2aid.org weisen paternalistische Züge auf und zeigen, dass sich noch nicht überall angekommen ist, dass die aktuelle Entwicklungspolitik eher auf Entwicklungszusammenarbeit setzt, statt auf Entwicklungshilfe, die „nicht von partnerschaftlicher Gleichberechtigung, sondern von der dominierenden Rolle des Fachwissens und des Reichtums geprägt“ ist.

kickHIV – Online mobilisieren, offline aktiv werden

Einen etwas anderen Weg des Fundraisings geht das Projekt „KickHIV“. Getragen wird es vom Verein Go Ahead! der vor knapp drei Jahen ebenfalls von einigen Studenten gegründet wurde. Im Vordergrund steht nicht die Bitte um Geld, sondern der Aufruf, aktiv zu werden und Offline-Aktionen an einem Aktionswochenende im Mai zu organisieren. Bei Benefizaktionen in ganz Deutschland soll Geld für ein Aids-Aufklärungsprojekt in Südafrika gesammelt werden, bei dem Jugendliche auf dem Fußballplatz über die Gefahren von HIV aufklärt.

Dafür stellt KickHIV eine Reihe von ansprechend gestalteten Hilfsmitteln bereit. In einem Aktionshandbuch werden Tipps und Ideen für Kickerturniere, Benefizkonzerte und Supermarktaktionen gegeben, bei Mixxt wurde eine Community eingerichtet, auf einer Googlemap sind Aktions-Orte verzeichnet und via Facebook oder Twitter kann man sich laufend informieren. Interessant ist, dass KickHIV prominente Botschafter wie Nationalspieler Philipp Lahm, Schauspielerin Cosma Shiva Hagen oder den Afrika-Experten Bartholomäus Grill gewinnen konnte. Auch KickHIV verspricht, 100% der Spenden weiterzuleiten, finanziert die Verwaltungskosten aus Mitgliedsbeiträgen und Sponsorengeldern. Die Aktion wirkt nicht ganz so poppig und multimedial wie 2aid.org, sondern erscheint „stärker geerdet“. Ob KickHIV dennoch ein Erfolg wird, bleibt abzuwarten, bislang sind die Zahlen der Aktions-Orte genau wie Follower-Zahl bei Twitter überschaubar.

Trotz der Kritik: Ich denke, dass Initiativen wie 2aid.org oder KickHIV der entwicklungspolitischen NGO-Szene in Deutschland gut tun. Sie zeigen aber auch, dass Entwicklungszusammenarbeit fachliches Know-How bedarf. Fehlende Expertise und Erfahrung sollten nicht durch blinden Aktivismus ersetzt werden. Engagierte Onliner und etablierte Hilfsorganisation sollten sich nicht gegenseitig belächeln, sondern im Idealfall die jeweiligen Kompetenzen zusammentun. So gewinnen alle.