Ende Juni ist die Kampagnenplattform Change.org in einer Beta-Version auf Deutsch gestartet. Bis zum Ende des Jahres soll sie komplett auf Deutsch verfügbar sein. Als „Campaigns Director“ baut Paula Hannemann die Plattform in Deutschland auf, ab September komplettieren ein Campaigner und ein Head of Communication ihr Team in Berlin. Ich habe mit Paula über Konkurrenz von Kampagnenplattformen, das Geschäftsmodell, Finanzierung und Vorteile für NGOs von Change.org gesprochen.
Auf Change.org kann jeder eine Petition starten, die Laufzeit festlegen, um Unterstützer werben, schließlich Sieg oder Niederlage erklären und Unterstützernamen für eine Übergabe downloaden. Change.org führt selbst keine Kampagnen durch, sondern will Macher/innen unterstützen. Ziel ist es, Campaigning zu dezentralisieren und lokales Engagement zu fördern, statt globale Themen vorzugeben.
Ulrich Schlenker: Bei Avaaz kann man mittlerweile eigene Petitionen einrichten. Greenpeace bietet mit Greenaction eine Community für Umwelt-Aktivisten. Warum sollte ein Aktivist das bei Change.org tun?
Paula Hannemann: Wir sind eine offene, überparteiliche Plattform für jeden, der eine Kampagne starten will, wir beziehen keine Position zu den Kampagnen. Dazu geben wir ausführliche Hilfestellung und Tipps, teilen Wissen und Erfahrungen. In den USA gibt beispielsweise kostenlose Webinare. Neben dem Aspekt der Offenheit zeichnet Change.org das hohe technische Niveau aus. Wir wollen die besten Tools in die Hände von leidenschaftlichen Menschen legen. Dafür arbeiten 50 Programmierer an der Plattform.
Neben Avaaz.org mit weltweit 15,3 Mio., Greenaction mit 13.000, ist in Deutschland Campact.de mit mehr als 660.000 registrierten Usern eine wichtige Kampagnenplattform. Ist der „Markt der Kampagnenplattformen“ nicht gesättigt? Welches waren die Gründe für Change.org, in Deutschland aktiv zu werden?
Die Idee von Change.org, eine kostenlose Kampagnenplattform und gleichzeitig Unterstützung für eigene Kampagnen anzubieten, gab es bislang in Deutschland nicht. Campact ist politische Plattform, die eine wichtige Arbeit macht und dazu beigetragen hat, Online-Campaigning in Deutschland zu etablieren. Wir ergänzen diese Idee. Wir haben mit Change.org eine großartige Plattform und wollen einfach, dass sie weltweit verfügbar ist.
„Campact hat Online-Campaigning in Deutschland etabliert. Wir ergänzen die Idee.“
Change.org nennt eine ähnliche Mitgliederzahl wie Avaaz, nämlich 16 Mio. Mitglieder. Welche Zahlen, welche Ziele habt ihr euch für Deutschland gesetzt?
Change.org hat 16 Mio. aktive Mitglieder, d.h. Menschen, die innerhalb des letzten Jahres in irgendeiner Form aktiv geworden sind. Bei uns werden jeden Monat 15.000* neue Petitionen gestartet. In Deutschland peilen wir bis Ende des Jahres 500.000 Unterstützer an, beim derzeitigen Wachstum von monatlich 40% werden wir das sogar übertreffen. Letztlich ist das Wachstum aber stark abhängig von der Viralität der Kampagnen und deshalb schwer zu prognostizieren. Außerdem muss sich Change.org am Ende nicht an den Wachstumzahlen messen lassen, sondern an der Frage: Gewinnen Menschen mittels unserer Technologien ihre eigenen Kampagnen?
Ihr schreibt, dass ihr 140 Mitarbeiter/innen in Büros in USA, Europa, Indien und Australien habt. Wie finanziert sich Change.org? Wie ist Euer Geschäftsmodell?
Change.org ist ein Social Business, eine so genannte B-Corporation, das heißt 100% des Gewinns wird reinvestiert. Wir verstehen uns als „soziale Matchmaker“, wir bringen Menschen und NGOs zusammen. Bei Petitionen von Organisationen können Unterstützer gefragt werden, ob sie weitere Infos von dieser NGO bekommen wollen. Wenn User dies aktiv bestätigen, geben wir die Adresse gegen eine Gebühr an die Organisation weiter, wenn sie noch nicht in deren Verteiler vorhanden ist. Dann kann die Organisation User auch für andere Anliegen anschreiben, zum Beispiel für Fundraising. Dieses Modell funktioniert gut, wir arbeiten zum Beispiel mit Amnesty International, ONE oder Oxfam zusammen. Für viele Organisationen ist es hilfreich, um eine Unterstützerbasis auszubauen. Eine verifizierte Adresse (kein Erstkontakt), ein hochwertiger Kontakt, ist viel wert. So können wir kostendeckend arbeiten.
Das nimmt die nächste Frage fast vorweg: Muss ich als User fürchten, dass ihr Geld mit meinen Daten verdient?
Wir legen viel Wert auf Datenschutz und haben sehr strenge Datenschutzrichtlinien. Wir vernetzen Menschen mit Organisationen, wenn die Nutzer dem ausdrücklich zustimmen. Daten werden nur mit expliziter Zustimmung weitergegeben, und Nutzer können sich jederzeit problemlos abmelden.
Bei Change.org können sich neben Einzelpersonen auch Organisationen registrieren und gegen Bezahlung „gesponsorte Kampagnen“ durchführen. Kannst Du das Prinzip kurz beschreiben?
Jede Organisation kann Petitionen starten und per E-Mail mit den Unterstützern in Kontakt treten, wenn diese zugestimmt haben. Bei den Share-Funktionen gibt es u.a. ein Petitions-Widget zum Einbau in die eigene Webseite. Das ist alles kostenlos. Kosten entstehen nur bei „gesponsorten Kampagnen“, dann platzieren wir die Petition einer Organisation gegen Bezahlung auf Danke-Seiten anderer Petitionen oder auf der Startseite.
Vielen Dank für das Gespräch!
* In einer früheren Version des Artikels stand, dass monatlich 50.000 Petitionen gestartet werden. Bitte entschuldigen Sie den Fehler.