Was war die spannendste Kampagne des Jahres 2016? Was ist in Erinnerung geblieben und warum? Und was haben wir von anderen Kampagnen, NGOs und Initiativen gelernt, was uns für die eigene Arbeit abgeschaut? Ich habe diese Fragen neun KollegInnen aus der NGO-Szene gestellt. Einzige Bedingung: Sie durften keine eigene Kampagne vorschlagen. Das hier sind die Antworten, die ich erhielt.
#Ausnahmslos
ausgewählt & vorgestellt von Jeannette Gusko (Change.org)Die Kampagne war eine Antwort auf die Übergriffe zur Silvesternacht in Köln. Ein starkes Statement gegen Sexismus und Rassismus. Sexismus ist kein Bedrohung von außen, nichts was plötzlich da ist, sondern Alltag in Deutschland. Jede dritte Frau erfährt in ihrem Leben sexuelle Gewalt. Was mich beeindruckte, war der Zusammenschluss von Feministinnen mit intersektionalen Perspektiven, um der erhitzten Debatte eine starke Antwort mit klarer Kante entgegen zu setzen.
Was ich von dieser Kampagne für meine eigene Arbeit gelernt habe? Schnell auf Crisitunities reagieren, wenn sie eintreten, internationale überparteiliche Netzwerkarbeit, Diversity in der Kampagnenarbeit, in Manifesten konkrete Lösungen anbieten: politisch, gesellschaftlich, medial.
Jeannette Gusko ist Communications Director bei der Kampagnenplattform Change.org
Stop Air Pollution Now! – Greenpeace UK
ausgewählt und vorgestellt von Florian Engel (More Onion)
Mich hat die Air Pollution-Kampagne von Greenpeace UK beeindruckt. Die Kampagne wurde mit einer einmaligen Aktion gelauncht: allen weltbekannten Statuen in London wurden Atemschutzmasken verpasst. Die Aktion hat absolut eindeutig symbolisiert, wie die gesamte Britische Kultur im Smog versinkt. Die (vermeintlichen) Errungenschaften von General Nelson werden in direkten Kontrast gestellt zu dem Versagen der Stadt, die eigene Luft sauber zu halten.
Hinzu kommen eine Reihe von Online-Aktionen, bei denen die kreative Idee ganz simpel weitergeführt wird: je länger du auf der Seite bleibst, desto mehr Smog überdeckt das Bild.
Ich kann politisch nicht beurteilen, wie gut die Analyse oder die Strategie tatsächlich war. Was Organisationen jedoch lernen können, ist die perfekt orchestrierte Straßenaktion und ein sehr reduziertes jedoch effektives Kreativkonzept, das sich durch alle Medien zieht. Die zentrale Botschaft wird klar: wir ersticken alle im Smog.
Florian Engel ist Gründer der Agentur „More Onion“, leitet die Strategieentwicklung und begleitet Organisationen bei der Konzeption kreativer Kommunikation.
TTIP CETA Referendum Niederlande
ausgewählt & vorgestellt von Maritta Strasser (Campact)
Meine persönliche Kampagne des Jahres 2016 ist die Kampagne für ein Referendum gegen CETA in den Niederlanden. In zwei Jahren Arbeit hat dort eine breite Bewegung für Arbeitnehmerrechte, gute Lebensmittel und eine lebenswerte Umwelt die öffentliche Meinung gegen CETA gedreht. Trotzdem hat die holländische Regierung im EU-Rat für CETA gestimmt. Aber vier Organisationen, Foodwatch, Meer Democratie, TNI und Friends of the Earth Netherlands haben die Gegenwehr vorbereitet: ein Referendum! Damit kann sich die Mehrheit der Menschen in den Niederlanden gegen ihre Regierung durchsetzen. Fast zwei Drittel der notwendigen Stimmen sind schon beisammen!
Die Kampagne macht Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk so viel Angst, dass sie an den Ministerpräsidenten der Niederlande appellieren, er möge die Gesetze für Referenden ändern. Ein größeres Kompliment kann man einer Kampagne nicht machen.
Maritta Strasser ist Teamleiterin Kampagnen bei Campact und leitet seit über drei Jahren die Kampagnen gegen TTIP, CETA und TiSA.
Hillary for America – Hillary Clinton
ausgewählt & vorgestellt von Markus Winkler (WWF Deutschland)Hillary Clinton hat für mich die wichtigste Kampagne des Jahres bestritten. Ja, ich weiß, dass sie verloren hat, trotz Popular Vote. Aber die Clinton-Kampagne sollte uns immer daran erinnern, dass man trotz langfristigen Vorbereitungen und ausgeklügeltem Data Driven Fundraising verlieren kann. Dann, wenn dein Framing und dein Narrativ nicht stark genug sind. Und wenn an den Stellen, an denen es das politische System verlangt, dein Hebel nicht stark genug ist (Swing States/ Window of Opportunity). NGOs und demokratische Parteien, sollten sich daran immer erinnern.
Markus Winkler ist seit 5 Jahren Online Campaigner beim WWF Deutschland und verantwortet dort alles Digitale rund um die politischen Kampagnen der Umweltstiftung.
No Business In Abuse – GetUp!
ausgewählt & vorgestellt von Maria Mayrhofer (#Aufstehn)Meine persönliche Kampagne des Jahres 2016 ist „No Business in Abuse“ (GetUp!, Australien). Im Rahmen der Kampagne wurden Lokalregierungen, Investoren und Unternehmen aufgefordert, sich aus den Geschäften mit den sogenannten „offshore detention centers“, den gefängnisartigen Insel-Anhaltelagern für Geflüchtete, auf denen es immer wieder zu Gewalt und massiven Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, Männer und Kinder kam, zurückzuziehen. Viele der Involvierten haben ihre Verträge aufgekündigt/werden sie auslaufen lassen, weshalb die Chancen gut stehen, dass die konservative australische Regierung die Center nicht weiterführen kann.
Das Beeindruckende an dieser Kampagne sind die unterschiedlichen Strategien, mit der einzelne Involvierte konfrontiert wurden. Darüber hinaus konnte über gezielte, auf die einzelnen UnterstützerInnen aus der Zivilgesellschaft fokussierte Medienarbeit ein breites öffentliches Bewusstsein für die Problematik geschaffen und eine starke Opposition gegen die menschenverachtende Praxis aufgebaut werden.
Maria Mayrhofer ist Geschäftsführerin der zivilgesellschaftlichen Kampagnenorganisation #aufstehn.
Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen – Initiative Grundeinkommen
ausgewählt & vorgestellt von Juri Maier (Wegewerk)
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens fasziniert mich seit dem Studium. Dass sie in der Schweiz zum ersten Mal Gegenstand einer Volksabstimmung war, ist mein persönliches Highlight in 2016. Politisch, weil es um die vielleicht interessanteste Antwort auf zwei der wichtigsten Zukunftsfragen geht: Wie wollen wir Einkommen gerechter verteilen und welche Rolle kann Arbeit nach der vierten Industrialisierung spielen? Ästhetisch, weil die Kampagnenmacher mit schlichten Botschaften in der Signalfarbe Gold und dem Einsatz von echtem Geld bei Aktionen mutig und sehr prägnant auftraten. Dass die Initiatoren nur 23% Zustimmung erreichten, ist keine Niederlage. Die Kampagne hat die einstmalige Phantasterei auf die politischen Agenda gehievt und dass in einigen Gemeinden und Stadtteilen sogar Mehrheiten erreichbar waren, sollte Mut machen, an dicken Brettern weiter zu bohren.
Juri Maier leitet die Berliner Kampagnenagentur wegewerk.
#ManBoobs4Boobs – MACMA
ausgewählt & vorgestellt von Judith Orland (Oxfam/ reCampaign)
Organisationen sind zunehmend auf Facebook angewiesen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Aber was tun, wenn die FB-Regeln die Arbeit erschweren? Fotos von Frauenbrüsten werden regelmäßig von FB gelöscht. Wie lässt sich da angemessen auf Brustkrebs aufmerksam machen, wenn man keine Brüste zeigen kann? Macma (Movimiento Ayuda Cáncer de Mama), eine argentinische Brustkrebs-Selbsthilfegruppe, hatte da eine Idee: In ihrem Aufklärungsvideo zeigen sie an der männlichen Brust wie das mit dem Abtasten geht. Charmant, kreativ, humorvoll.
Judith Orland ist u.a. zuständig für Social Media bei Oxfam Deutschland und ist Gründerin und Programm-Kuratorin der Konferenz „reCampaign – Strategien für den digitalen Wandel“.
Alexander Van der Bellen-Wahlkampagne
ausgewählt & vorgestellt von Bernhard Csengel
Die persönlich spannendste Kampagne des Jahres 2016 war die des gewählten österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Als wahres Unikum der österreichischen Politiktradition hat der Wahlkampfmarathon fast das ganze Jahr angedauert. Ich nehme aus der Beobachtung der Kampagne besonders zwei Aspekt mit: Eine anhaltende Mobilisierung und Begeisterung von freiwilligen HelferInnen ist auch über einen langen Zeitraum möglich. Zweitens: Begriffe, die vom Konkurrenten scheinbar uneinnehmbar besetzt sind, können sehr wohl einem Re-Framing unterzogen werden. Das hat man besonders beim Begriff „Heimat“ gesehen, der vom rechtspopulistischen Konkurrenten nationalistisch besetzt war. Van der Bellen hat den Heimatbegriff aus der rechten Ecke geholt und zurück erobert. Diese Aspekte waren, meiner Ansicht nach, nur durch einen inklusiven und breiten Narrativ der Kampagne möglich.
Bernhard Csengel ist Campaigner im Menschenrechtsbereich und lebt in Wien.
Vote Leave, Take Control
ausgewählt & vorgestellt von Jona Hölderle
Meine Kampagne des Jahres, so traurig das ist, ist die „Vote Leave“ Kampagne der Brexit-Befürworter. Als Nonprofits gibt es hier sicherlich einiges zu lernen und die Kampagne wirft die Frage auf, wie weit man für sein Kampagnenziel gehen darf. Was wir wirklich lernen können, ist neue Zielgruppen anzusprechen und diese für ein politisches Projekt zu begeistern. Hier gibt es immer mehr Menschen auf unserer Seite, als wir denken. Zumindest, wenn wir es schaffen und aus dem Kleinklein der Organisationen herauszuziehen.
Zudem hat der Brexit (wie auch die Trump-Kampagne) die Frage nach Microtargeting aufgebracht. Wir als NGOs müssen schauen, ob und wie weit wir auch hier tätig werden. Wäre es z.B. okay über Facebook-Ads gezielt Menschen anzusprechen, welche auf bestimmten Seiten und Gruppen kommentiert haben, bestimmte Artikel geteilt haben oder ähnliches?
Jona Hölderle berät gemeinnützige Organisationen in Online-Marketing und Online-Fundraising.
Was war deine Kampagne des Jahres?
Welche politische oder NGO-Kampagne im Jahr 2016 hat dich beeindruckt, begeistert oder inspiriert? Und warum? Was hast du für deine eigene Arbeit von ihr gelernt? Poste weitere Vorschläge als Kommentar unter diesen Artikel!