Welche Kampagnen haben 2017 die NGO- und Nonprofit-Welt bewegt? Was ist uns besonders in Erinnerung geblieben? Was haben wir von anderen Kampagnen, Initiativen oder Organisationen gelernt, was uns für die eigene Arbeit abgeschaut? Diese Fragen haben ich auch dieses Jahr NGO-KollegInnen gestellt – und spannende Antworten erhalten. Einzige Bedingung war: sie durften nicht ihre eigenen Kampagnen auswählen. Dieses Mal habe ich auch einige nicht-deutschsprachige Kolleginnen befragt. Also: Was war die „Kampagne des Jahres“? Das sind die zehn Antworten, die ich erhielt.
Welche NGO-/ Nonprofit-Kampagnen haben dich 2017 begeistert? Schreibe deine Vorschläge als Kommentar unter diesen Artikel!
#metoo
ausgewählt & vorgestellt von Wiebke Schröder (Sum of Us)
„Als Reaktion auf den Weinstein-Skandal nutzen Hunderttausende auf Twitter den Hashtag #metoo, um von sexueller Belästigung und Gewalt zu berichten. Ursprünglich von Tarana Burke ins Leben gerufen, verhalf die Schauspielerin Alyssa Milano #metoo zu weltweiter Aufmerksamkeit. Sie rief Frauen dazu auf den Hashtag zu nutzen, um das Ausmaß des Problems sichtbar zu machen.
Mit Erfolg: Die Kampagne hat dazu beigetragen, dass der Fall Weinstein nicht nur als abscheulicher Einzelfall behandelt wird, sondern sexuelle Gewalt und Belästigung als strukturelle Probleme in den Mittelpunkt rücken. #metoo hat individuelle Erfahrungen weltweit zu einer mächtigen Stimme zusammengeführt.
Es ist nicht der erste Aufschrei – und wird nicht der letzte bleiben. Doch die Kampagne hat eindrucksvoll gezeigt, welche Kraft der richtige Hashtag im richtigen Moment entfalten kann.“
Wiebke Schröder ist Campaign Manager bei der internationalen Verbraucherorganisation SumOfUs.
Who Targets Me?
ausgewählt & vorgestellt von Joanne Warner (Care2)
„My favourite campaign of the year for 2017 is Who Targets Me. Who Targets Me has been established to monitor the use of dark advertising in our elections. Their software informs citizens of the extent to which they are being targeted by campaigns and candidates. Who Targets me also work with local researchers and investigative journalists to help them analyse the aggregated datasets, drawing out insights about which demographics are being targeted and the exact media and language campaigners are using to influence voters.
It’s an initiative that recognises that citizens can use technology and big data to monitor campaigns and defend the transparency of democracy. It’s also examining the ways in which information and misinformation carried over social media is changing the face of political campaigning and society at large. Clearly very of it’s time! For me it has everything – it’s new, it’s geeky, it’s data driven and creates pressure and accountability in our political systems. A brilliant idea.“
Joanne Warner is the Director, Europe for Care2 the world’s largest social network for good.
Ehe für alle (Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V.)
ausgewählt & vorgestellt von Max Beckmann (Wigwam/ reCampaign)
„Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause ging plötzlich alles ganz schnell: Die gleichgeschlechtliche Ehe war innerhalb weniger Tagen endlich beschlossene Sache. Das Besondere: Politiker*innen, Parteien, Medien – sie alle beriefen sich da schon nicht mehr auf den irreführenden und teilweise auch als abschätzig wahrgenommenen Begriff „Homo-Ehe“. Stattdessen hatte sich die „Ehe für alle“ im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt – und mit ihr das positive Framing als Öffnung einer Institution für die Allgemeinheit. Entscheidenden Anteil daran hatte eine Initiative aus über 60 Organisationen aus der LGBT-Community, die sich 2015 nach der überraschend positiven Abstimmung über Gleichstellung in Irland formierte. Sie nutzte nicht nur das internationale Momentum, sondern sorgte auch für die strategische Verbreitung des Begriffs über Social Media, Demonstrationen, Stellungnahmen und trug ihn durch in Parteien engagierte Mitstreiter*innen an politische Entscheidungsträger heran.
Für mich ein großartiges Beispiel für wirksam orchestrierte Bündnisarbeit und die Beeinflussung der öffentlichen Debatte über politisches Framing.“
Max Beckmann ist Projektmanager und Konzepter bei der Kommunikationsberatung Wigwam und Mitglied im Organisationsteam der reCampaign.
Pledge your support for ending torture (Freedom from Torture)
ausgewählt & vorgestellt von Catherine Joyce (Refugee Action)
„My favourite campaign of 2017 has been a lead generation campaign by the UK based charity Freedom from Torture. The campaign initially asks people to pledge their support for ending torture via Care2’s website and then sends people on an email journey that includes petition and email your MP actions along with information about the organisation’s services and the people they work with and requests for donations. The journey that supporters are sent on when they sign up is incredibly well crafted – emotive, compelling and engaging. The integration of the campaigning and donation asks are especially impressive with landing pages optimised for taking action easily from email and all actions leading to a donate ask.
The key things I think are useful for all NGOs to learn from this is to develop a narrative that is then weaved through all action content, tying together the stories told through email to the campaign actions and the subsequent donation asks. The other thing I learned from this campaign was how important it is to help clients tell their stories themselves – Freedom from Torture have a programme that helps survivors of torture use creative writing to tell their stories and this shines through in the emotive and compelling stories they tell.“
Catherine Joyce is Digital Communications Manager at Refugee Action, a charity that supports refugees and people seeking asylum in Britain.
Aufbruch 2017 (Campact)
ausgewählt & vorgestellt von Jörg Rohwedder (WeMove.eu)
„Ein wirklich mutiges Vorhaben: Campact hat Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen, über eine Bürgeragenda für die Bundestagswahl zu diskutieren. Freiwillige haben in ihre Wohnzimmer und Küchen eingeladen, Themen diskutiert und die Ergebnisse dokumentiert. Es gab über 1.200 Diskussionrunden, an denen sich mehr als 75.000 Menschen beteiligt haben. Das Ergebnis sind zehn Forderungen unter den drei Überschriften sozialer, demokratischer und ökologischer Fortschritt. Ich hätte der Kampagne viel mehr Aufmerksamkeit durch die herkömmlichen Medien gewünscht.
Die Kampagne Aufbruch 2017 zeigt, dass wir sehr große Gruppen von Menschen nicht nur auf die Straße bringen können, sondern auch zu einer Debatte über unsere gemeinsame Zukunft. Ob uns das wohl auch auf europäischer Ebene gelingen kann? Die Kampagne macht Mut dazu, es zu versuchen.“
Jörg Rohwedder ist der für Deutschland und Österreich zuständige Campaigner der europäischen Bürgerbewegung WeMove.eu
Stop Funding Hate
ausgewählt & vorgestellt von Duane Raymond (FairSay)
„While I like a lot of campaigns, there are a few defining elements I look for: Have they made an impact? Do they respond quickly to opportunities? Are they able to sustain it? Are they addressing a timely issue?
In terms of impact, Stop Funding Hate has resulted in numerous advertisers (including governments) from advertising in traditional and online media outlets. They’ve done this with a team of volunteers from around the UK (and allies from around the world) using little more than rapid response on social media to relevant opportunities. And they’ve done this multiple times, each time getting media coverage which fuels their growth and impact. Finally, they are addressing an issue that has arisen alarmingly fast in the last few years around Europe, US and beyond: the normalisation of hate.
If you’re looking for what a campaign should look like, this is it! I look forward to how they evolve in 2018.“
Duane Raymond founded the annual eCampaigning Forum (ECF) event in Oxford, UK, and FairSay – a consultancy that transforms people and organisations into digitally savvy campaigners through training, events, strategy and analysis.
#metoo
ausgewählt & vorgestellt von Madeleine Drescher (Attac Österreich)
„#metoo ist für mich die Kampagne des Jahres 2017. Fast jede Frau hat selbst sexuelle Übergriffe erlebt, das heißt auch, dass #metoo vielen Betroffenen die Kraft und das Selbstbewusstsein gegeben hat, sich nicht mehr zu verstecken, in der Gemeinsamkeit und dem Wissen nicht allein zu sein, ihre Erfahrungen zu teilen. Gerade weil sie nicht von einer einzelnen Organisation oder Plattform initiiert wurde, konnte sie – getragen von Millionen Frauen (und auch Männern) – durch ihre virale Verbreitung zu einem grundlegenden Bewusstseinswandel beitragen.
#metoo verdeutlicht, dass virale Onlinekampagnen sehr wohl zu konkreten gesellschaftlichen Prozessen betragen können und eine große Anzahl von Menschen erreichen. Eben auch solche, die sonst Debatten zum Thema Sexismus nicht verfolgen. Konkrete Betroffenheit, Solidarität, Offenheit und Mut haben hier dazu beigetragen einen Hashtag zu einem Symbol für Widerstand und Veränderung zu machen.“
Madeleine Drescher ist Campaignerin für Handelspolitik bei Attac Österreich und Koordinatorin der österreichischen Plattform „TTIP STOPPEN“.
Women’s March
ausgewählt & vorgestellt von Ian Goggin (Friends of the Earth)
„Way back at the beginning on January 21st 2017, the Women’s March took place around the world. Starting as a Women’s March on Washington to „send a bold message to our new administration on their first day in office, and to the world that women’s rights are human rights”. However, that original US-only idea soon went international by keeping to an inclusive message that channelled outrage towards Trump, while giving women & minorities space to air their own more local issues. Women’s March used Action Network to make it easy to set up and promote local marches, with nearly 700 marches – with millions of participants in total – taking place around the world. In the US the campaign also did what they could to capitalise on the energy created by the marches with “10 Actions for the first 100 Days”, where they posted a new action every 10 days of Trump’s presidency.
As we head towards the end of the year with more and more news dominated by previously underreported stories of sexual misconduct, it’s hard not to think that efforts that brought people together – like the Women’s March – played a part in making that possible.
The lesson for campaigners are many, but I think the big ones are that identity matters; follow up matters; and that – as always – being able to seize on a big moment quickly can lead to big results.“
Ian Goggin is Digital Campaigner at Friends of the Earth (England, Wales and Northern Ireland).
Europäische Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“
ausgewählt & vorgestellt von Nehle Hoffer (Foodwatch)
„In nur fünf Monaten haben mehr als 1,3 Millionen Menschen aus der gesamten Europäischen Union die Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen Glyphosat unterzeichnet. Einige Monate vor Start der EBI konnte die Zivilgesellschaft einen erheblichen Sieg davon tragen und die Wiederzulassung des Ackergifts Glyphosat um 15 Jahre vorerst verhindern. Was blieb, war eine Zeitspanne von eineinhalb Jahren, in der weiter mobilisiert und gekämpft wurde.
Durch die EBI gegen Glyphosat kamen Organisationen und Menschen aus Europa zusammen. Sie überwanden dabei nicht nur Länder- sondern auch Organisationsgrenzen. Die Kämpfer*innen gegen Glyphosat fanden sich unter dem Schirm der EBI zu einem echten europäischen Bündnis zusammen, in dem nicht nur Inhalte oder Bildmaterial getauscht wurde, sondern in dem organisationsübergreifend auf kollegialer Ebene Taktiken und Maßnahmen gemeinsam entwickelt und umgesetzt wurden.
Glyphosat wurde Ende 2017 in der EU wieder zugelassen. Von diesem Schock muss man sich erholen. Doch die EBI hat gezeigt, dass keine NGO alleine kämpft, dass Bündnisarbeit funktionieren und erfolgreich sein kann. Die Menschen und Organisationen der EBI gegen Glyphosat bleiben Verbündete.“
Nehle Hoffer ist Teil des Webteams von Foodwatch Germany.
Ban Fracking Now (Friends of the Earth)
ausgewählt & vorgestellt von Nikolai Miron (GLOBAL 2000/ Kampagne 2.0)
„Meine persönliche Kampagne des Jahres ist von Friends of the Earth England, Wales and Northern Ireland und Friends of the Earth Scottland: Ban Fracking Now. Die Schwierigkeit bei der Kampagne war, den Protest in den von Fracking betroffenen Regionen auch auf der Straße sichtbar zu machen, um Druck auf die Politik auszuüben. Friends of the Earth haben nämlich (fast) keine regionalen oder lokalen Gruppen, die dies hätten übernehmen können. Deshalb nahm man Kontakt zu bereits existierenden lokalen Umweltgruppen und Bürgerinitiativen auf und fragte wie Friends of the Earth sie unterstützen könne. Außerdem förderte man die Gründung weiterer lokaler Anti-Fracking-Gruppen und sorgte für Vernetzung und Wissenstransfer zwischen ihnen. Gab es zu Beginn der Kampagne nur 3 lokale Anti-Fracking-Gruppen, sind es nun über 500.
In ihrer Kommunikation stellte Friends of the Earth die Aktiven vor Ort in den Mittelpunkt (obwohl es keine „eigenen“ Aktiven waren, die das Organisationslogo auf ihren Jacken trugen) und gab so dem bunten Protest überall im Land viele Gesichter. Mir gefällt an der Kampagne, dass Menschen, die etwas gegen Fracking machen wollten (aber vielleicht nicht genau wussten wie), empowered wurden, selbst aktiv zu werden.
2017 kam dann auch der Erfolg: In Schottland wurde Fracking gesetzlich verboten. Ich drücke die Daumen, dass ein Verbot in ganz Großbritannien bald folgen wird.“
Nikolai Miron ist Head of Digital Campaigning bei der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und Autor für dieses Blog.
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